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FORSCHUNG & LEHRE
Der Body-Mass-Index –
ein medizinischer Irrtum?
Ansprechpartner

Dr. Harald Schneider hält ihn für
die Risikoabschätzung nicht geeignet
und empfiehlt neue Messgröße
zur Bewertung des Herzinfarktund
Schlaganfallrisikos

Die Deutschen sind ein Volk von Dicken: Laut jüngsten Studien sind 75 Prozent aller deutschen
Männer und fast 60 Prozent der Frauen übergewichtig (BMI zwischen 25 und 30), mehr als 50
Prozent der Männer und 23 Prozent der Frauen gar fettleibig (BMI ab 31). Was indes die Zahlen medizinisch bedeuten,
ist unklar. Denn gängige Statistiken beruhen auf Erhebungen mit dem Body-Mass-Index (BMI), der errechnet wird, indem man sein Gewicht in Kilogramm teilt durch die Körpergröße in Metern zum Quadrat.
Doch dieses von der Weltgesundheitsorganisation WHO empfohlene Maß steht seit einiger Zeit in der
Kritik der Experten. „Der BMI spielt keine Rolle für das Schlaganfall-, Herzinfarkt- oder Todesrisiko eines Menschen", betont Dr. Harald J. Schneider von der Medizinischen Klinik am Campus Innenstadt, nach einer neuen Studie, die er geleitet hat. Für derlei Risiko-Aussagen eignet sich viel besser der Wert, der sich ergibt, wenn man Taillenumfang durch Körpergröße teilt – kurz WHtR genannt (aus dem Englischen für waistto- height-ratio).

Nicht die Menge, sondern die Verteilung des Körperfetts ist offenbar entscheidend für bestimmte Krankheits- Gefahren. Tatsächlich sprechen Experten wie Dr. Schneider inzwischen von „gutem und bösem Fett." Der Speck um den Bauch – also um die Taille – kann schädliche Fettsäuren und diverse Botenstoffe in den Körper abgeben, die Entzündungen fördern. Das passiert auch und gerade in den Gefäßen, was die Arteriosklerose vorantreibt.
Hüft-, Oberschenkel- und Gesäßfett hingegen haben nach jüngsten Erkenntnissen nichts mit
dem Risiko für Herz- Kreislauferkrankungen zu tun und wirken mitunter schützend, wie manche Untersuchungen zeigen. Entsprechend versuchen die Wissenschaftler das ideale Maß zu finden, das die realen Verhältnisse widerspiegelt.
In der Diskussion sind das Verhältnis von Hüft- zu Taillenumfang (WHR) und eben der WHtR. Der LMU-Mediziner und seine Kollegen vom Münchener Max-Planck-Institut für Psychiatrie, der Universität
Greifswald, der Technischen Universität Dresden und der Universität Lübeck haben in ihre Studie knapp 11.000 Probanden einbezogen und zu Beginn für jeden Studienteilnehmer WHR, WHtR und BMI ermittelt. Dabei wurden für jedes Maß vier Größenordnungen festgelegt. Drei bis acht Jahre lang beobachteten die Forscher dann die gesundheitliche Entwicklung der Probanden. Ergebnis:
Ob ein Mensch einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall bekommt oder daran stirbt, lässt sich am besten mit dem WHtR abbilden. „Je höher der WHtR, desto größer das Risiko", erklärt Dr. Schneider.
Die beiden anderen getesteten Maße waren weitaus weniger (WHR) oder gar nicht (BMI) aussagekräftig. „Es gibt immer mehr Studien, die belegen, dass die Messung des BMI wenig bringt", sagt Dr. Schneider – und hofft darauf, „dass medizinische Fachgesellschaften und WHO ihre Empfehlungen für die Messung des Körperfetts bald ändern."


Dr. Harald Schneider
Medizinischen Klinik, Campus Innenstadt
Tel. 089/ 51 60-21 11 (Pforte)
E-Mail:
harald.schneider@med.unimuenchen.de